Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in diesen Tagen wünschte ich mir gelegentlich, ich würde weniger über die Hintergründe des furchtbaren Krieges in der Ukraine wissen und die Tragweite der Zeitenwende vom 24. Februar nicht ermessen können. Der Zusammenbruch der zu Beginn der Neunzigerjahre entstandenen Sicherheitsordnung vor unseren Augen, der ruchlose Angriffskrieg des russischen Regimes gegen ein friedliches Land und seine Bewohner, in dem sich eine Zivilgesellschaft entwickelt hat, die erkennbar westlich orientiert ist, beschwört zu Recht Ängste in uns herauf und zwingt uns, die Entwicklungen der letzten Jahre neu zu interpretieren. Die Solidarisierung mit der Ukraine und ihrer Schreckliches erleidenden Bevölkerung in den Gesellschaften des Westens ist eindrucksvoll.
Auf das Fach Geschichte kommt es in diesen Tagen besonders an. Unser Plädoyer als Verband lautet daher: Lassen Sie bitte in der einen oder anderen Stunde das KC KC sein und thematisieren Sie Russland und die Ukraine im Unterricht. Unsere fachliche Expertise ist zum Verständnis des Krieges besonders gefordert. Klären Sie die historischen Hintergründe, tun Sie das, entsprechend dem Beutelsbacher Konsens, unter Darbietung der Positionen der Beteiligten – aber vergessen Sie am Ende nicht, all das an den konstitutiven Werten, die der Bildungsauftrag des Niedersächsischen Schulgesetzes formuliert, auszurichten: „auf der Grundlage des Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen“ (§ 2 NSchG). Lassen Sie es daher nicht an klaren Aussagen darüber mangeln, wo diese Werte zu finden sind und wo sie es derzeit nicht sind. Vergessen Sie dabei aber auch nicht, zwischen dem russischen Volk und seinem Regime zu unterscheiden.
In der aktuellen Lage wäre es schwer vermittelbar, wenn der Geschichtsunterricht angesichts einer international geeinten Öffentlichkeit nicht über die Präsentation eines multiperspektivischen Arrangements hinaus- und ohne Werturteile auskäme. Mit einem klaren Bekenntnis zu Frieden und Freiheit – und das heißt hier: mit einer Positionierung auf der Seite der Ukraine – stehen wir zugleich für die Voraussetzungen ein, die eine historische Bewusstseinsbildung in einer offenen Gesellschaft erst ermöglichen.
Hierbei wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Heinßen
Vorsitzender des Niedersächsischen Geschichtslehrkräfteverbandes e. V.